Das ist meine Herausforderung des Tages. Eine Betrachtung der Wärmflasche. Wärmflaschen scheinen so banal, zu sein, dass es gleich albern klingt, einen Essay über sie schreiben zu wollen. Weniger sexy als eine Wärmflasche ist doch eigentlich nur die Neujahrsansprache unserer Bundeskanzlerin. Ich könnte, um doch noch etwas daraus zu machen, nach den zehn extremsten Wärmflaschenereignissen der Welt googeln. Ich könnte die verrücktesten, hässlichsten und aberwitzigsten Wärmflaschen ausfindig machen. Aber das liegt mir fern. Stattdessen begebe ich mich in die riesigen Hallen des Weltgenerators. Er befindet sich in meinem Kopf. Ich gehe also da runter, tippe in den Hauptcomputer „Wärmflasche“ ein und drücke "Enter". Hui, wie es da zugeht! Kleine Rädchen beginnen sich zu drehen, Tausende von winzigen Bildschirmen schalten sich ein, es qualmt, summt, duftet, blinkt und rattert. Dann erscheint auf einem Förderband eine kleine Box. Darin ist ein Päckchen mit der Aufschrift „Die Wärmflasche und ich“. Das nehme ich mit und packe ich es zusammen mit Ihnen aus.
Viele Jahre hatte ich gar keine Wärmflasche. Erst seit diesem Winter. Das liegt an Korbinian. Mein vierjähriger Sohn wohnt die Hälfte der Woche bei mir. Als guter Vater ist es mir ein Anliegen, ihm spannende Erlebnisse an der Körper-Welt-Schnittstelle zu vermitteln. Wir raufen miteinander, ich ziehe ihm Gummistiefel an, damit er durch Pfützen springen kann und wir backen zusammen Plätzchen. Da kam mir an einem kalten Tag die Eingebung „Wir brauchen Wärmflaschen“. Korbinian war sofort begeistert. Und hastdunichtgesehen, besaßen wir ein rotes und ein türkises Exemplar. Beide mit gleichfarbiger waschbarer Flauschhülle. Korbinian beanspruchte die türkise Flasche für sich – türkis ist seine Lieblingsfarbe. Da er Chef ist (ich bin nur Unterchef), ist seine Wärmflasche auch die Chefwärmflasche und muss deshalb im Badezimmer über meiner hängen. Das sind die Insignien der Macht. Und dann kam die erste Nacht mit Wärmflasche. Schon das Einfüllen des Wassers ist ein sinnliches Erleben. Der eigentümliche Geruch, der aus der Wärmflasche entströmt. Wie das kalt-schwabbelige plötzlich etwas heiß-schwabbeliges wird und sich anfühlt wie etwas Lebendiges. All das, auch das Zudrehen des Verschlusses ist exakt so wie in meiner Erinnerung an die Kindheit. Die Wärmflasche ist so etwas wie ein perfekter Gegenstand Sie braucht sich nicht weiter zu entwickeln. Sie verfügt über keine Bluetooth-Schnittstelle, keine digitale Temperaturanzeige und keine Materialien aus der Weltraumforschung. Nur den Flausch-Überzug kannte ich als Kind noch nicht. Ich lege die Wärmflachen unter die Decken. Dann ist es soweit, wir schlüpfen unter die noch unwirtlich kalte Bettwäsche. Und erspüren dort diese Wärmeinsel (schön, dass die deutsche Sprache Wörter wie „schlüpfen“ bereithält, da ist eine ganz subtile sinnliche Wahrnehmung schon mit drin). Was für ein Gefühl, die Füße auf die heiße Wärmflasche zu legen. Für mich hat das etwas Tröstendes. Die Wirkung ist ähnlich der eines Mandelhörnchens. Wohligkeit breitet sich im Körper aus. Die Wärmflasche sagt mir: ich bin jetzt sicher, ich bin verschont. Ich muss nichts leisten. Wärmflaschen machen im Unterschied zu Mandelhörnchen nicht dick. Sie verursachen nur ein winziges Stäubchen CO2, wenn man sie befüllt. Sie gehören zu den unschuldigen Gegenständen. Es gibt keine SUV-Wärmflaschen.
Wenn ich an Wärmflaschen denke fällt mir meine Oma ein. Die war selbst wie eine Wärmflasche. Um sie herum war es immer irgendwie gemütlich. Ihr Art zu sprechen war so beruhigend und freundlich wie das Zwitschern von Vögeln. Im Unterschied zu einer echten Wärmflasche kühlte sie nicht ab. Mal abgesehen von ihren letzten Jahren im Altersheim vielleicht. Meine Oma setzte in der kalten Jahreszeit vor dem Zubettgehen einen zerbeulten Blechtopf auf den Gasherd. Das kochende Wasser füllte sie dann in rote Wärmflaschen um. Das ist vielleicht an sich gefährlich. Aber Gefahr war bei Omas Aura von Gemütlichkeit gar nicht denkbar. Die Wärmflaschen waren unverhüllt und verdammt heiß. Sie verursachten wohlige bis unangenehme Schmerzen auf der Haut. Man musste sie mit der Bettdecke einwickeln, um die Hitze aushalten zu können. Die Wärmflaschen meiner Kindheit waren alle rot. Sie hatten dieses Rot, das man von Gummisaugglocken fürs Klo und den Gummiringen von Einmachgläsern kennt. Und sie waren geriffelt, was einem ein subtil geriffeltes Gefühl an den Füßen bescherte. Ich legte mir die Flasche gerne auf den Bauch (natürlich mit Schlafanzug dazwischen) und wartete, bis der Zeitpunkt kam, wo ich sie aus Selbsterhaltungsgründen wegnehmen musste. Meine Schwester betitelte als Kind Gegenstände wie Wärmflaschen mit dem Wort „ommalich“. (Nicht „Omalich“, wir sind in Westfalen aufgewachsen. Unsere Oma war aber trotzdem keine Omma, die Welt ist kompliziert). Ommalich war ein vernichtendes Urteil. Es ist die Steigerung von „uncool“. Nur Warmduscher benutzen Wärmflaschen. Ommaliche Dinge kann man gerade wegen ihrer Ommalichkeit liebhaben. Man hat ja auch Omas wegen ihrer Ommalichkeit lieb.
Die Faszination des Banalen ist ja heute ein wichtiges Thema in der Kunst. Vor ein paar Tagen war ich im Marta, einem von Frank Gehry entworfenen Kunstmuseum in Herford. Alles ist dort so absurd aufwendig und großzügig und himmelwärts gestaltet, dass quasi automatisch jeder Gegenstand, der hier ausgestellt wird, sakral wird. In dieser Ausstellung war in einem großen Saal das Dach einer (etwas ommalichen)Tankstelle nachgebaut. Mehrere Betonpoller standen rum, so wie sie das auch in der profanen Welt tun. Auf einem von Ihnen aber blinkten kleine Lämpchen und er fuhr geräuschlos hin und her. Das war sehr hübsch. In der Ecke stand ein Süßigkeiten-Automat. In dem einzigen belegten Fach war ein Raider („Raider heißt jetzt Twix- sonst ändert sich nix“ - das kennen Sie doch noch, oder?). Zwei nette Gimmicks – aber eben auch irgendwie sakral. Ich habe beschlossen, dass die Tankstelle und der Automat raus müssen und eine Wärmflasche rein. Die Wärmflasche soll an der Wand hängen. Sie befindet sich in der Mitte eines goldenen Strahlenkranzes – wie bei einer barocken Madonnenfigur. An jedem Ende der Strahlen ist ein mit dem neuesten Klimabericht des IPCC bedrucktes Blatt Papier aufgeklebt. Auf der Wärmflasche klebt wiederum ein Bild von Greta Thunberg. Vielleicht werde ich ja doch nochmal ein renommierter Künstler.